HISTORIE & TRADITION

Der Ursprung

Die Anfänge der „Tölzer Leonhardifahrt“ sind nicht exakt nachzuweisen. Gesichert ist aber durch einen Eintrag im „Verkündbuch“ aus dem 18. Jahrhundert, dass bereits 1772 eine Fahrt zu Ehren des Hl. Leonhard stattfand. Damals „sprengten“ Reiter, Bauern und Bäuerinnen auf ihren Wägen noch „wild“ um die Leonhardikapelle, welche eigentlich zu Ehren der Schmerzhaften Muttergottes erbaut wurde.

Seit der Kirchweihe waren jedoch der Hl. Leonhard, der Hl. Joseph sowie der Hl. Johannes Baptist Nebenpatrone der Kirche. Möglicherweise führte eine Tierseuche im Jahre 1742 zu einer Bitt-Prozession auf den Kalvarienberg, die aber wohl noch der schmerzhaften Muttergottes gewidmet war. Die Hauptpatronin geriet mit der Zeit in den Hintergrund - seit 1812 ist von der Leonhardikapelle die Rede.

- Leonhardszug vom Kalvarienberg hinunter -
Historische Zeichnung des Leonhardizuges auf dem Kalvarienberg in verschneiter Landschaft; im Hintergrund ist die Leonhardikapelle zu sehen.

Sankt Leonhard

Leonhard von Limoges (Ort seiner Erziehung) oder Leonhard von Nobles (Ort seiner Einsiedelei) war der Legende nach ein französischer Heiliger der Merowingerzeit, der Kranken half und die Ketten von Gefangenen durch sein Gebet zu sprengen vermochte. Wenn St. Leonhard heute im gesamten Alpenraum als Nothelfer, aber insbesondere als der Viehpatron verehrt wird, ist der Wechsel des Heiligen wohl auf die zunehmenden Wirkkräfte oberbayerischer Benediktinerklöster in dieser für die Landbevölkerung existentiellen Frage zurückzuführen.
Prof. Dr. Kerkhoff-Hader

Darstellung des Heiligen Leonhard
Sankt Leonhard,
wir bitten Dich,
leg Fürbitt ein
für Mensch und Viech.
Zitat und Abbildung aus
Die Tölzer Leonhardifahrt
von Christoph Schnitzer

„Die Geordnete Fahrt“

So ist es seitdem

1856 verfügte der Tölzer Pfarrer Pfaffenberger eine geordnete Abwicklung. Seitdem findet die „Tölzer Leonhardifahrt“ - mit Ausnahme der NS-Zeit und der Kriegsjahre - bis in die heutige Zeit in nahezu unveränderter Form statt.

Verbunden im Glauben

Die „Tölzer Leonhardifahrt“ wird seit vielen Generationen nahezu unverändert als großartiges Glaubens- und Traditionsbekenntnis begangen. Die Menschen in der Stadt Bad Tölz, im Isarwinkel und darüber hinaus, fühlen sich über diese Wallfahrt in ganz besonderer Weise mit der Stadt aber auch miteinander verbunden. Nur so ist zu erklären, dass in unserer modernen, schnelllebigen Zeit so viele junge Menschen die Tradition der „Tölzer Leonhardifahrt“ hoch in Ehren halten und jedes Isarwinkler Mädchen davon träumt, einmal auf einem Wagen an der Wallfahrt teilnehmen zu dürfen.

Verlosung der Zugreihenfolge

Wer fährt hinter wem?

Gerade das Festhalten an bestimmten Regeln hat die „Tölzer Leonhardifahrt“ weithin bekannt und berühmt gemacht. Einen Wandel hat sie in den 1970er Jahren durch die Auslosung der Zug-Reihenfolge erfahren, was wesentlich zur Entspannung beim Ablauf beigetragen und den Fuhrleuten und Rössern lange Wartezeiten vor dem Beginn der Fahrt erspart hat.

Im Beisein der Leonhardilader Anton Heufelder und Ludwig Bauer hält der erste Vorstand vom Trachtenverein Edelweiß Heinz Bader stolz seine gezogene Wagennummer in die Kamera.
Verlosung der Wagennummern für die Zug-Reihenfolge.

Das Leonhardizeichen

Als Anstecker für den Hut oder die Joppe zur Erinnerung an einen Festtag in Bad Tölz, aber auch als Finanzierungsbeitrag zu den hohen Kosten der Fahrt wird seit 1950 ein Leonhardizeichen gestaltet und verkauft. Seit den 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts geht es meist aus einem Gestaltungswettbewerb hervor. Zwischen 10.000 und 12.000 Zeichen, mit dem Motiv des 1. Preisträgers, werden alljährlich von den Besuchern erworben. Der zweite Preisträger überträgt seinen Entwurf mittlerweile traditionell ins „Goldene Buch“ der Stadt, in das sich am Leonharditag alle Ehrengäste eintragen.

Eine Auswahl aus den letzten Jahrzehnten

Leonhardizeichen 1950 bis 1952

1950-52

Leonhardizeichen 1968 bis 1969

1968-69

Leonhardizeichen 1980

1980

Leonhardizeichen 1991

1991

Leonhardizeichen 1994

1994

Leonhardizeichen 1997

1997

Leonhardizeichen 2002

2002

Leonhardizeichen 2005

2005

Leonhardizeichen 2010

2010

Fuhrwerke

Auf Eisenreifen durch Bad Tölz

Im Gegensatz zu manchen anderen Leonhardifahrten und -ritten wird mit teilweise über hundert Jahre alten sogenannten Tafel-, Truhen- und Motivwägen, die nach der geltenden Regel mit Eisenreifen versehene hölzerne Räder haben, gefahren.

Zeichnung eines Truhenwagens

Truhenwagen, „Truach“ genannt

Die Truhenwagen sind sehr beeindruckend und wertvoll. In der Dekoration ähneln Sie bemalten Truhen, wie man sie heute noch in Bauernhäusern findet. Prächtige Malereien, auch Landschaftsszenen, sind auf den Wagen zu finden. Kurze Bittgebete oder kleine zweizeilige Reime, wie „Heiliger Leonhard bitte für uns!“ ergänzen die Bilder. Besonders charakteristisch ist die Sitzweise in den Truhenwagen. Die Insassen sitzen paarweise auf kleinen Holzbänken. Meist passen sechs Paare in einen Truhenwagen. Die Truhenwagen, oft Familienerbstücke, sind die ältesten und schönsten Gefährte der Leonhardifahrt.

Zeichnung eines Tafelwagens

Tafelwagen

Die Tafelwagen standen früher in landwirtschaftlichem Gebrauch. Für die Leonhardifahrt wurden sie sauber gemacht und mit Almrausch, Buchs, Daxn und Granten liebevoll geschmückt. Heute warten sie, sorgfältig gepflegt, das ganze Jahr über auf ihren Einsatz.
Auf der Stirnseite ist meist ein kunstvoller Aufbau mit Bildern des Heiligen Leonhard angebracht. Der Wagen wird außerdem mit vor Ort angefertigtem Dekor (z.B. aus Garn und Seidenpapier) versehen. In diesen Festwägen finden deutlich mehr Leute Platz als in einem Truhenwagen.

Zeichnung eines Darstellungswagens

Darstellungswagen

Schließlich gibt es noch die Darstellungswagen. Auf diesen flachen Brückenwagen wird ein Modell der Leonhardskapelle mitgeführt und Szenen aus dem Leben des Heiligen Leonhard werden von Kindern dargestellt. Auf diesen Wägen fahren meist kleine Buben und Mädchen mit.

Alles beginnt mit dem „Laden“

Fast vergleichbar einem Hochzeitslader besuchen die zwei Leonhardilader in den Wochen vor der Fahrt die oft schon seit Jahrzehnten teilnehmenden Höfe und Fuhrleute, tauschen bei einem Plausch in der guten Stube die neuesten „Nachrichten“ aus, erfragen natürlich auch, ob das Gespann wieder mit dabei ist und welche Rösser zusammengespannt werden. Die Stadt will damit unterstreichen, wie wichtig ihr die Teilnahme der Höfe ist, und belässt es eben nicht nur bei einer schriftlichen Einladung.
Bei der Verlosung der Zugreihenfolge treffen sich die Stadtvertreter, Leonhardilader und die Fuhrleute wieder. Routiniert findet die Ziehung der Zugfolge statt und bei einer Brotzeit werden die neuesten Informationen zur Fahrt bekanntgegeben.

Fuhrmann Martin Mair „Walchbauer“ empfängt die Leonhardilader Anton Heufelder und Ludwig Bauer.
Empfang der Leonhardilader durch einen Fuhrmann.

Ein Original

Die „Tölzer Leonhardifahrt“, hat sich ihre große Originalität bewahrt, weil sie seit weit über 150 Jahren in nahezu unveränderter Weise begangen wird. Eine Reihe von Besonderheiten unterscheidet sie von ähnlichen Wallfahrten anderenorts: So wird bei der „Tölzer Leonhardifahrt“, die durch die Stadt auf den Kalvarienberg führt, der Topographie geschuldet, ausschließlich vierspännig gefahren. Gezogen werden die eisenbereiften Truhen-, Tafel- und Motivwägen ausschließlich von Kaltblutpferden.

Alle Teilnehmer, egal ob Fuhrleute oder Mitfahrer, nehmen überwiegend in sehr alten, wertvollen Originaltrachten, Bürgermeister und Stadträte im Gehrock und Zylinder, Stadträtinnen im dunklen Umhang teil.

Eine weitere Tölzer Besonderheit: Frauen werden, so will es die Tradition, auf den Wägen sitzend gefahren; als Reiter, Fuhrleute und „Brettlhupfer“ sind nur Männer zugelassen.